Novemberblog
Das Jahr schreitet mit schnellen Schritten voran.
Haben wir nicht gerade noch unsere Füße in kaltes Wasser gehalten und geschwitzt mit einem Eis in der Hand. Haben wir nicht gerade noch Eiskaffee getrunken und sind Bahnen durch das kühle Nass geschwommen?
Jetzt versorgen wir den Garten, machen ihn winterfest. Besorgen ein Haus für die Vögel, die bald kein Futter mehr finden werden. Blicken nach oben und beobachten die Zugvögel, die in den Süden fliegen. Wir pflanzen einen Strauch mit bunten Blättern…ich freu mich so an diesem knalligen Rot mitten im kahler werdenden Garten.
Es wird kälter. Ich träume von einem kleinen Ofen in unserem Haus mit „echter“ Wärme, die nicht elektrisch steuerbar ist. Träumen darf man…
Wir sind wieder gerne im Haus. Die Kinder bauen plötzlich Höhlen, als hätte ihnen jemand gesagt: Es ist bald Winter, macht es euch gemütlich.
Ich hole die Kerzen aus dem Schrank und durchforste mein Tee-Regal. Freue mich an der dicken braunen Strickjacke, die monatelang abwartend im Schrank hing. Ich krieche unter meine dicke Decke und empfinde mein Bett als Ort wahrer Glückseligkeit. Aus der untersten Schublade des Kleiderschranks hole ich die gestrickten dicken Socken… jedes Paar gefertigt von Menschen, die ich kenne und im Herzen habe.
Der Winter liegt schon in der Luft. Ich genieße das Laufen durch die kühle Luft. Besonders am Morgen, wenn sich der Nebel lichtet und die Sonne langsam wieder durchbricht. Die Sonne steht tiefer. Die Bäume verlieren langsam aber sicher ihre Blätter und lassen los.
Ich werde wehmütig. So sehr ich sie liebe diese Zeit enthält sie auch Traurigkeit und Melancholie.
Noch vor einigen Jahren konnte ich mit diesem Monat so wenig anfangen.
Es war ein so leerer Monat.
Könnten nicht schon die adventlichen Lichter brennen und uns den Weg zum Weihnachtsfest zeigen?
Könnte ich nicht schon die Deko-Kisten vom Dachboden holen und die Lebkuchen essen?
Ja, klar, dass könnte ich…aber ich entdecke eine Art wohltuende Leere im November. Eine Leere, die Platz macht für Gedanken und Gefühle, die im Sommer kaum aufkommen. Vielleicht brauchen wir gerade dafür den November. Ein Monat der Platz bietet, für das Vermissen und Traurig sein.
Der November ist eine Einladung, sich diesem Vermissen zu stellen. Dem nicht fertig werden mit unzähligen Aufgaben. Er ist eine Erinnerung an die Lücken des Lebens.
Seine Feiertage nehmen genau das auf.
Sie werden mir kostbarer, je älter ich werde.
Da ist der Buß- und Bettag, der Tag an dem ich mit meinen Unfertigkeiten zu Gott kommen darf. Traurig sein darf über mein Scheitern und Versagen. Loslassen darf, was ich doch allein nicht schaffte.
Da ist der Ewigkeitssonntag, der mir meine eigene Vergänglichkeit bewusst macht. Der mir einen Raum schenkt dankbar und traurig an die zu denken, die ich so schmerzlich vermisse.
Dieser Monat ist ein Geschenk.
Und ich ahne immer mehr, wenn wir es nicht auspacken, verpassen wir etwas.
Ist doch das Leuchten, dass uns erwartet nochmal sehnsuchtsvoll. Erwünschter. Heller. Tröstlicher. Wenn wir uns bewusst werden über das, was schmerzt, was unvollkommen ist. Was es in jeder Biografie zu finden gibt.
Nein, ich will nichts herbeizwingen, was nicht ist, aber umgehen, mit dem, was oft im Alltag keinen Raum hat.
Der November nimmt mich bei der Hand und sagt: „Komm, lass uns vermissen, komm, lass uns erinnern, komm, lass uns traurig sein… Lass uns Trostworte suchen und Hoffnungslichter anzünden. Lass uns Tränen weinen und erkennen wie reich wir sind. Lass uns umgehen mit Schmerzen, die da sind. Lass uns reden mit dem, der uns so gut kennt und liebt. Lass uns die Leere nicht überschminken, sondern entdecken das sie spricht. Wundersame Worte, die wir brauchen.“
Und manchmal denke ich, dass traurig sein über Verlorenes, lässt mich auch reich fühlen, weil da Menschen sind, die Spuren hinterlassen haben in meinem Leben. Die mich beschenkt und ins Leben geliebt haben. Die mich eine Etappe meiner Reise begleitet haben. Sie werden immer einen Platz haben und ich will mich immer dankbar erinnern. Umgehen mit der Trauer. Sie nicht wegdrücken.
Und so stöbere ich in alten Bildern. Streiche dankbar über Gesichter. Gebe dem Vermissen Raum.
Denke auch über mein Leben nach, dass einen bestimmten Raum in dieser Welt haben wird.
Setze Prioritäten und überlege immer wieder neu, womit ich wirklich meine Zeit füllen will.
Sage denen, die ich Liebe gute Worte. Denn das wird mir auch bei allem Vermissen so bewusst. Ich bin umgeben von Menschen, die ich lieben darf. Die da sind, die mir Heimat sind.
- Wen vermisst du?
- Wie hat diese Person dein Leben reich gemacht?
- Wie kannst du das Vermissen ausdrücken?
- Was belastet dich und womit wirst du nicht fertig?
Ein Gebet des Vermissens
Gott, ich bin traurig.
Ich vermisse schmerzlich.
Es kostet Kraft dem Raum zu geben.
Danke, dass du mich kennst. Danke, dass du die kennst, die mir fehlen.
Danke, dass du der seidene Faden zwischen Himmel und Erde bist.
Danke, dass es das DAHEIM in deiner Ewigkeit geben wird.
Das es dort hell und warm ist.
Hilf mir umzugehen mit meinen Gedanken und Gefühlen.
Hilf mir einen guten Weg der Trauer zu finden.
Lass mich erkennen wie reich ich bin.
Gott, ich bin dankbar.
Für Menschen, die mich begleitet haben und zu dem Menschen gemacht haben, der ich bin.
Gott, ich bin beladen, merke besonders in diesem Monat, was mir nicht gelungen ist.
Spüre, was ich nicht schaffe, was mich überfordert.
Ich bringe dir Schiefes, Krummes, Schweres und vertraue auf den Ort, an dem du mich gütig ansiehst, mir vergibst und mir meine Lasten abnimmst, so dass ich wieder aufrecht gehen kann.
Danke, dass du da bist.
Danke, dass du mich kennst und trotzdem liebst.
Danke, dass du mich verstehst, bis ins Tiefste. Besser als ich mich selbst kenne.
Amen das heißt, so soll es sein.
- Novemberfundstücke
- Wann immer es geht, schalte ich das elektrische Licht aus und genieße das gemütliche Kerzenlicht. Meine Kinder lieben es, bei Kerzenlicht zu essen. Kerzenschein ist für mich auch eine Erinnerung, dass da einer wartet – auch im Dunkeln. Einer, der mitten unter uns ist, wenn wir essen, spielen und zusammen sind.
- Dem Vermissen Raum geben
Auch die Kinder vermissen. Den Opa, der nicht mehr da ist. Die liebe Erzieherin, die in diesem Sommer starb. Wir nehmen uns Zeit, sehen Bilder an. Bringen eine Blume zu Opas Grab. Lesen Geschichten über das Vermissen.
Ein Buch das uns über viele Jahre begleitet, finde ich ganz wundervoll. Es heißt „Wo die Toten zu Hause sind“ und erzählt, auf ganz wundervolle Art und Weise vom Himmel. Ich habe es auch schon Erwachsenen geschenkt, die vermissen und sie waren berührt von den Bildern und der Sprache.
- Einige Menschen in diesem Jahr sind gegangen. Ich möchte mir Zeit nehmen, Karten zu schreiben an ihre Nächsten. An die, die jetzt leiden. Will sie nicht vergessen, deren Welt stillsteht, obwohl sich meine weiterdreht. Ich schreibe ihre Namen auf einen kleinen Zettel. Will mir Zeit nehmen. Vielleicht können wir auch Ermutiger sein, kleine Lichter, die es für andere hell machen. Ich glaube es braucht keine klugen Sprüche, wohlformulierte Worte…es braucht echte Nähe, ein offenes Ohr und ein „Ich bin da für dich“.
- Licht und Wärmeorte suchen
Wir sammeln Holz für unsere Feuerschale und trinken warmen Kakao am Feuer.
Wir lieben es draußen zu sein mit dicken Jacken und einer Decke.
Wir essen gerne warme, einfache Suppe, z.B. Karotten-Kartoffelsuppe mit Würstchen oder Kürbissuppe. Wir feiern unsere Äpfel und genießen warmen Apfelcrumble mit Vaniellesoße, Apfelmus und Bratäpfel.
Wir backen seit ein paar Jahren ein warmes Nussbrot, dass wir unter dem Jahr fast vergessen. Aber jetzt fällt es uns wieder ein. Das erste Mal im Jahr, wenn wir dieses Brot essen, ist etwas ganz Besonderes. Noch warm – obendrauf natürlich dick mit Butter bestrichen.
Wir stellen dicke Kerzen in Gläser und lesen Herbstbilderbücher. Ich entdeckte alte Geschichten wieder ganz neu, die ich als Kind so geliebt habe z.B. „Oskar und die Mitternachtskatze“ – ein Buch, dass schon 45 Jahre alt ist. Ich liebe es so sehr, dass die Kinder Bücher so sehr feiern, wie ich es auch tue. Und so holen sie sich oft schon früh morgens an dunklen, grauen Tagen eine Decke und kuscheln sich aufs Sofa. Jeder mit einem Buch.
Wir staunen darüber, wie die Natur sich verändert und auch Bäume zu leuchten beginnen. Unser Eingangsbereich des Hauses ist ein einziges Sammelsurium an Schätzen, die die Kinder gefunden haben. Und so fädeln wir knall rote Hagebutten auf Draht, basteln Kastanienketten und sammeln alles, was die Natur uns schenkt.
Thanks Giving feiern
Neben all dem Vermissen und Traurig sein ist mir seit ein paar Jahren ein Fest wichtig geworden – weit ab von kitschigem Kommerz aus den USA. Thanks giving. Ein Tag an dem ich mir bewusst machen darf, wofür ich dankbar bin und was ich zu geben habe. Welche Menschen mein Leben reich machen und ausfüllen. Es ist ein Tag an dem ich gerne die Plätze an meinem Tisch voll besetzt sehe – Freunde einlade. Es kann ganz einfach sein ohne großen Aufwand. Wir teilen Suppe und frisch gebackenes Brot. Wir erzählen, wofür wir dankbar sind und was uns Hoffnung gab.
Wie gut tut es, zusammen zu sein. In allem, was dieses Jahr war. Zu merken, wir sind nicht allein. Wir sind beschenkte. Es gibt so viel zum Danken!
Buchempfehlung
Allen, die vermissen empfehle ich das Buch „Trauern ist Liebe“ von Christine Heinzmann.
Sie schreibt über den Umgang des Verlustes ihrer geliebten, kleinen Tochter. Es klingt wie moderne Psalmen. Ein Umgehen mit dem Was ist. Nimmt mit hinein in das Traurig sein. Um Worte ringen. Manchmal keine finden. Sie entdeckt tiefe Schatten aber auch Licht und Hoffnung. Ich empfehle es allen, die vermissen. Die Traurig sind und um Worte ringen.
Es ist nicht nur ein Trauerbuch – es ist auch ein Trost- und ein Hoffnungsbuch. Ihr könnt es direkt bei der Autorin bestellen. Oder auch bei mir.